Redaktiongruppe: Taras Woznjak (Herausgeber) |
Unabhängige Kulturzeitschrift
«Ï»
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Dieses Heft erschien in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung(Berlin) |
INHALT
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ukr
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(Menschenrechte)
Andrij Pawlyschyn: Vorwort zu Journal 21 «ZIVILGESELLSCHAFT»Die Begriffe «Menschenrechte» und «Zivilgesellschaft» – Schlüsselbegriffe der zeitgenössischen Diskussion in der Politikwissenschaft und Sozialphilosophie – werden seit etwa zehn Jahren auch in der Ukraine oft und intensiv in Gebrauch genommen. Wie auch anderen Begriffe – «Demokratie», «Freiheit», «Sozialstaat», «Marktwirtschaft» – werden sie häufig missverstanden oder missbraucht: Die Machthaber und ihre ergebenen intellektuellen Diener versuchen, diese Begriffe an das existierende Machtsystem anzupassen, oder sie bemühen sich, die westlichen Diskurse «ins Schwanken» zu bringen, und so liegen sie durchaus auf der politischen Linie der postsowjetischen Eliten. Keine Frage, dass man solch einen Effekt nur erziehlt durch eine brutale Deformierung der ursprünglichen Ideen oder indem man dem Publikum Sand in die Augen streut. Bornierte Professoren mit ihrer notorischen «wissenschaftlich-sozialistischen» Vergangenheit haben die Trendwörter an ihr Niveau des Verstehens von gesellschaftlichen Prozessen angepasst, haben sie banalisiert oder bestenfalls scharf kritisiert. Die breiten Massen haben sich natürlich nicht auf die jahrelangen Forschungen und Debatten von Juristen, Philosophen, Politikwissenschaftlern eingelassen, und in der Öffentlichkeit versuchte man die Genese jener Begriffe einfach zu überspringen – das hatte bedauerlichen Folgen: man hat sich vom Alten lossgerissen, aber zum Neuen noch nicht gefunden, schlimmer, es macht sich eine gewisse Enttäuschung breit über die Früchte der euroatlantischen Zivilisation, die man aber noch gar nicht hatte kosten können. Ich möchte dies nicht als Vorwurf missverstanden wissen, ich will nur darauf hinweise, wie kompliziert unsere Situation ist, in der wir uns einem gigantischen Problemkomplex annähern, dere noch mehrere Generationen von Bürgern und Vertretern der NGOs beschäftigen wird. In den sowjetischen Zeiten war die Berufung auf die Menschenrechte für viele politische Aktivisten, darunter auch ukrainische, die einzige Möglichkeit zu handeln. Obwohl sie einen furchbaren Druck von den Straforganen erlebten, handelten sie im Rahmen der Menschenrechte und durften mit einer breiten öffentlichen Unterstützung zu Hause und mit der Solidarität der westlichen öffentlichen Meinung rechnen. In den 70er Jahren waw bekanntlich schon ein einflussreiches Netz von NGOs aufgebaut worden. Nach der Wende erlebte die ukrainische Menschenrechtsbewegung eine gewisse Krise. Die alten politischen Aktivisten bekamen die Chance, im Rahmen von politischen Parteien zu handeln, ihre Meinung frei in den ukrainischen Massenmedien zum Ausdruck zu bringen, und sie haben infolgedessen ihr Profil geändert. Die Gesellschaft wurde konfrontiert mit dem dramatischen Problem der Modernisierung und Transformation gleichzeitig in mehreren Bereichen. Einer kleinen Gruppe von Personen, die am Schalthebel standen, ist es gelungen, der überwiegenden Mehrheit alles wegzunehmen, denn die Zivilgesellschaft in der Ukraine war noch sehr unterentwickelt. Die ukrainischen Bürger haben noch nicht die Vorteile eines freiwilligen und auf die Befriedigung von realen Lebensbedürfnisse gerichteten Zusammenschlusses in Vereinen, Initiativen, Assoziationen kennengelernt, aber sie erlebten in aller Vehemenz den Einfluss der westlichen individualistischen Konsumphilosophie. Besonders hart empfindet das die Jugend. Sie erwärmt sich nicht mehr für die alten sowjetischen Mythen, aber sie spürt überall Unterentwicklung, verursacht durch die Realitäten der postkolonialen «Tiers Monde»-Ukraine. Für die überwiegende Mehrheit wurde soziale Sicherheit sehr viel wichtiger als politische Freiheit, und sie haben es selber gar nicht bemerkt, dass sie in einen «Teufelskreis» gerieten. Die neue Menschenrechtsbewegung, die modernen Institute der Zivilgesellschaft in der Ukraine sind immer noch auf Hilfe der Weltöfffentchkeit angewiesen, auf finanzielle Unterstüztung durch westliche Stiftungen und einen solidarischen Druck auf unsere Regierung durch das weltweite Netz Nichtregierungsorganisationen. Der scharfe Konflikt in der ukrainischen Gesellschaft, der im Frühjahr 2000 aufbrach – man beschuldigte die Machthaber der Korruption, der Wahlfälschungen und der Unterdrückung von Rede- und Meinungsfreiheit – hat die miserable Situation im Hinblick auf Einhaltung der Menschenrechte und den Aufbau einer Zivilgesellschaft in unserem jungen Staat ans Tageslicht gebracht. Dabei entstand dann auch ein Bewusstsein, dass diese Paradigma für die Sicherheit und Entwicklung der Gesellschaft von größter Bedeutung sind, und auch die Machthaber bemerkten, wie schädlich und destruktiv es ist, die Axiome zu ignorieren, die von den westlichen Eliten schon längst erarbeitet waren. Wir bauen darauf, dass dieses Journal der ganzen ukrainischen Gesellschaft helfen kann, unseren aktuellen Zustand zu begreifen, Paralellen weltweit zu sehen und über den widersprüchlichen und komplexen Charakter unserer Welt nachzudenken. Für mich sind Begriffe wie «Menschenrechte» und «Zivilgesellschaft» nicht bloß theoretische Konzeptionen oder Gegenstand abstrakter Überlegungen, vielmehr Ausdruck einer Lebenshaltung, einer Art und Weise, wie man auf die Herausforderungen der Existenz reagiert und damit die eigene kulturelle Identität vollständig realisiert. Seit mehr als zehn Jahren arbeite ich mit verschiedenen NGO zu sammen – «Proswita», «Memorial», «Forum Wydawziw», «Amnesty International» und mit der Zeitschrift «Ï». Sie sind sehr unterschiedlich, aber sie sind alle darum bemüht, die Welt zu vervollkommnen. Ich glaube fest daran, dass die Welt wirklich besser wird, wenn jeder von uns seinen Platz findet, nicht nur als Individum, sondern auch als Bürger, als Mitglied einer Dutzend virtueller Gemeinschaften, als eine Person, die nicht fragt, «für wen die Glocke läutet», sondern die nach dem eigenen Gewissen handelt. |