Johann Peter Hebel
Der Husar In Neisse
Als vor achtzehn Jahren die Preußen mit den Franzosen Krieg führten und durch
die Provinz Champagne zogen, dachten sie auch nicht daran, daß sich das Blättlein
wenden könnte, und daß der Franzos noch im Jahr 1806 nach Preußen kommen und
den ungebetenen Besuch wettmachen werde. Denn nicht jeder führte sich auf, wie
es einem braven Soldaten in Feindesland wohl ansteht. Unter andern drang damals
ein Brauner preußischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus eines friedlichen
Mannes ein, nahm all sein bares Geld, so viel war, und viel Geldeswert, zuletzt
auch noch das schöne Bett mit nagelneuem Überzug und mißhandelte Mann und Frau.
Ein Knabe von acht Jahren bat ihn kniend, er möchte doch seinen Eltern nur das
Bett wiedergeben. Der Husar stößt ihn unbarmherzig von sich. Die Tochter läuft
ihm nach, hält ihn am Dolman fest und fleht um Barmherzigkeit. Er nimmt sie
und wirft sie in den Sodbrunnen, so im Hofe steht, und rettet seinen Raub. Nach
Jahr und Tagen bekommt er seinen Abschied, setzt sich in der Stadt Neiße in
Schlesien, denkt nimmer daran, was er einmal verübt hat, und meint, es sei schon
lange Gras darüber gewachsen. Allein, was geschieht im Jahr 1806? Die Franzosen
rücken in Neiße ein; ein junger Sergeant wird abends einquartiert bei einer
braven Frau, die ihm wohl aufwartet. Der Sergeant ist auch brav, führt sich
ordentlich auf und scheint guter Dinge zu sein. Den andern Morgen kommt der
Sergeant nicht zum Frühstück. Die Frau denkt: Er wird noch schlafen, und stellt
ihm den Kaffee ins Ofenrohr. Als er noch immer nicht kommen wollte, ging sie
endlich in das Stüblein hinauf, macht leise die Türe auf und will sehen, ob
ihm etwas fehlt.
Da saß der junge Mann wach und aufgerichtet im Bette, hatte die Hände ineinandergelegt
und seufzte, als wenn ihm ein groß Unglück begegnet wäre, oder als wenn er das
Heimweh hätte oder so etwas, und sah nicht, daß jemand in der Stube ist. Die
Frau aber ging leise auf ihn zu und fragte ihn: Was ist Euch begegnet, Herr
Sergeant, und warum seid Ihr so traurig? Da sah sie der Mann mit einem Blick
voll Tränen an und sagte, die Überzüge dieses Bettes, in dem er heute Nacht
geschlafen habe, haben vor 18 Jahren seinen Eltern in Champagne angehört, die
in der Plünderung alles verloren haben und zu armen Leuten geworden seien, und
jetzt denke er an alles und sein Herz sei voll Tränen. Denn es war der Sohn
des geplünderten Mannes in Champagne und kannte die Überzüge noch, und die roten
Namensbuchstaben, womit sie die Mutter gezeichnet hatte, waren ja auch noch
daran. Da erschrak die gute Frau und sagte, daß sie dieses Bettzeug von einem
Braunen Husaren gekauft habe, der hier in Neiße lebe, und sie könne nichts dafür.
Da stand der Franzose auf und ließ sich in das Haus des Husaren führen und kannte
ihn wieder.
Denkt Ihr noch daran, sagte er zu dem Husaren, wie Ihr vor 18 Jahren einem
unschuldigen Mann in Champagne Hab und Gut und zuletzt auch noch das Bett aus
dem Hause getragen habt, und habt keine Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein
achtjähriger Knabe um Schonung anflehte, und an meine Schwester? Anfänglich
wollte der alte Sünder sich entschuldigen, es gehe bekanntlich im Kriege nicht
alles, wie es soll, und was der eine liegen lasse, hole doch ein anderer, und
lieber nimmt mans selber. Als er aber merkte, daß der Sergeant der nämliche
sei, dessen Eltern er geplündert und mißhandelt hatte, und als er ihn an seine
Schwester erinnerte, versagte ihm vor Gewissensangst und Schrecken die Stimme,
und er fiel vor dem Franzosen auf die zitternden Knie nieder und konnte nichts
mehr herausbringen als: Pardon! dachte aber: Es wird nicht viel helfen.
Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: Jetzt wird der Franzos den Husaren
zusammenhauen, und freut sich schon darauf. Allein das könnte mit der Wahrheit
nicht bestehen. Denn wenn das Herz bewegt ist und vor Schmerz fast brechen will,
mag der Mensch keine Rache nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und verächtlich,
sondern er denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Böses mit Bösem vergelten.
So dachte der Franzose auch und sagte: Daß du mich mißhandelst hast, das verzeihe
ich dir. Daß du meine Eltern mißhandelt und zu armen Leuten gemacht hast, das
werden dir meine Eltern verzeihen. Daß du meine Schwester in den Brunnen geworfen
hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott! Mit diesen Worten
ging er fort, ohne dem Husaren das Geringste zuleide zu tun, und es ward ihm
in seinem Herzen wieder wohl. Dem Husaren aber war es nachher zumut, als wenn
er vor dem jüngsten Gericht gestanden wäre und hätte keinen guten Bescheid bekommen.
Denn er hatte von dieser Zeit an keine ruhige Stunde mehr und soll nach einem
Vierteljahr gestorben sein.
Merke: Man muß in der Fremde nichts tun, worüber man sich daheim nicht
darf finden lassen.
Merke: Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst.
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12
1998
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