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N 6 / 1995 (Ukr.)
DIE EUROPAEISCHE DIMENSION DER UKRAINE Ï archiv

 

Anna-Halja Horbatsch

DIE UKRAINISCHE THEMATIK IM WERK LEOPOLD VON SACHER-MASOCHS

(Zusammen fassung)

Den Kennern der deutsch-ukrainischen literarischen Beziehungen blieb bislang ein deutscher Autor des 19. Jhs. unbekannt, den seinerzeit die deutsche Kritik den “kleinrussischen Turgenjew” nannte, und dessen “Don Jüan von Kolomea” Paul Heyse sogar in den “Deutschen Novellenschatz aufnahm.

Leopold Ritter von Sacher-Masoeh wurde 1836 in Lemberg als Sohn des dortigen Polizeichefs geboren. Seine Mutter war die Tochter eines ukrainischer Gelehrten aus Wynnyky. Einen entscheidenden Einfluß auf seine Entwicklung im Knabenalter hatte eine ukrainische Amme, die ihm Kenntnisse der ukrainischer Volksdichtung vermittelte. In seiner Prosa nimmt die ukrainische Thematik neben der deutschen, polnischen und jüdischen einen breiten Platz ein Auf diesem Gebiet war er ein Vorläufer von Karl Emii Franzos (1848-1904), der auch manche Ansichten Sacher-Masochs über die sozialen Wirren, Land und Leute übernahm.

Der Beitrag untersucht die Prosa Sacher-Masochs in Bezug aufukrainische soziale, historische, fotkloristische und sprachliche Elemente. Der Autor idealisiert in seiner Erzählungen das ukrainische Baurentum und die Nachkommen der alten galizischen Bojarenschicht. Er unterstreicht die negative Rolle des polnischen Adels, der im Verlauf der polnisch-ukrainischen Beziehungen soziale und politische Konflikte heraufbeschwor. Unter dem Einfluß von Gogol und der russophilen Strömung innerhalb der galizischen Geistlichkeit und Intelligenz des 19. Jhs. neigt Sacher-Masoch dazu, die Ukrainer Galiziens als Teil des russischen Volkes zu betrachten, obwohl er den Unterschid zwischen Klein- und Großrussen zieht. Die eingestreuten tolkloristischen und ethnographischen Elemente verraten eine gewisse Kenntnis der ukrainischen Volksdichtung, der historischen Liberlieferung und des Brauchtums. So baut er in die Erzählung der “Kaidamak” (1882) die Legende von Oleksa Dovbus ein Seine Texte enthalten zahlreiche historische Hinweise, die den deutschen Leser mit Gestalten und wichtigen Prozessen der ukrainischen Geschichte bekanntmachen (Enstehung des Kosakentums, Haidamakenaufstand, die galizische nationale Wiedergeburt usw).

In sprachlicher Hinsicht hat er viele Ukrainismen (zuweilen in polnischer Lautform) übernomen Es handelt sich vor allem um Lexik, die sich auf Brauchtum, Kleidung, Speisen bezieht, umfaßt aber auch eine Anzahl von phraseologischen Lehnübersetzungen aus dem Ukrainischen Die Orts-Familien- und Vornamen sind für das Ukrainische nur teilweise charakteristiiisch, vieles stammt aus dem Polnischen oder wurde aus dem Russischen übernommen. Sein Hang zur Exotik und Darstellung

krankhafter patholagischer Erscheinungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen (Masochismus) ist die Ursache für manche Verzerrung und falsche Lokalisierung des ukrainischen Volksbrauchtums.

Die Verfasserin beschränkt sich auf einen summarischen Einblick in die aufgezeichnete Problematik und wird sich demnächst mit den einzelnen Werken des Autors noch befassen.