Anna Rogowska, Stanislaw Stepien
Die polnisch-ukrainische Grenze in den zurueckliegenden 50 Jahren
FUNFZIG JAHRE POLNISCH-UKRAINISCHE GRENZE
Die derzeitige polnisch-ukrainische Grenze ist nicht historisch gewachsen,
und sie wurde auch nicht nach ethnischen Kriterien festgelegt. Zugrunde lagen
ihr politische Entscheidungen, die außerhalb Polens und ohne Beteiligung der
legalen polnischen Behörden gefasst wurden.
Man kann allerdings auch nicht behaupten, ihre Schöpfer hätten die historischen
Tatsachen völlig außer Acht gelassen, obwohl sie sich bei der Festlegung des
genauen Grenzverlaufs nicht an der nationalen Besiedelung des analysierten polnisch-ukrainischen
ethnischen Grenzgebiets orientierten. Als Rechtfertigung dafür mag die Tatsache
gelten, dass es sich bei den umstrittenen Gebieten um kein einheitliches Siedlungsgebiet
handelte, sondern um ein national gemischtes Gebiet mit einer überwiegend ukrainischen
Besiedelung auf dem Land und einer überwiegend polnischen Besiedelung in den
Städten. Deshalb ging man bei der Debatte um die damalige polnisch-sowjetische
Grenze von vornherein davon aus, daß die Trennung der polnischen und ukrainischen
Ethnien durch einen Bevölkerungsaustausch werde stattfinden müssen, also durch
die Umsiedlung der Polen aus der sowjetischen Ukraine nach Polen und der Ukrainer
aus Polen in die Sowjetukraine.
GRENZLAND ZWISCHEN SAN UND ZBRUCZ
Die damaligen Entscheidungsträger, die die politische Nachkriegsordnung schufen,
waren nicht imstande, sich direkt auf historische Argumente zu berufen, weil
die Grenze zwischen dem polnischen und dem ukrainischen Ethnos selbst zur Blütezeit
der mittelalterlichen ruthenischen (ruski) Staatlichkeit keinen dauerhaften
Charakter gehabt hatte und Informationen über ihren Verlauf nicht nur im gesellschaftlichen
Bewußtsein keineswegs verankert, sondern damals einfach überhaupt nicht bekannt
waren. Somit berief man sich auf das zu Anfang des 20.Jahrhunderts in den nationalistischen
Kreisen beider Völker entstandene Eigentumsgefühl für Heimaterde.
Die ukrainische Seite drückte dieses Gefühl mit dem besonders während der
Zwischenkriegszeit und im II.Weltkrieg lancierten Slogan Die Lachy über
den San! (Lachy synonym für Polen). Gemeint war damit die Vertreibung
der polnischen Bevölkerung aus den als ukrainisch betrachteten Gebieten östlich
des San auf das westliche Ufer.
Die territorialen Ansprüche der polnischen Nationalisten gingen zu dieser
Zeit sehr viel weiter. Mit Blick auf die Tatsache, dass die Städte des umstrittenen
Gebiets polnisch dominiert waren, forderten sie, die Ukrainer hinter den
Zbrucz! zu werfen, was bedeutet hätte, ganz Ostgalizien polnisch zu belassen.
Denn obwohl in weiten Kreisen der polnischen Intelligenz klar war, daß die Gebiete
östlich des San und des mittleren Bug zu Zeiten der frühen Staatlichkeit ukrainisch
gewesen waren, so reklamierte man diese Gebiete trotzdem für den polnischen
Staat, einerseits wegen des großen polnischen Beitrags zu ihrer zivilisatorisch-kulturellen
Entwicklung, andererseits aus Gründen der äußeren Sicherheit. Als eine der Hauptzentren
des polnischen politischen und kulturellen Lebens sah man die Stadt Lemberg
an, die gleich nach Warschau und Krakau kam.
Die sowjetischen Ansprüche auf das damals bei Polen verbliebene Territorium
Ostgaliziens und Wolhyniens waren schon in der Zwischenkriegszeit erhoben worden.
Begründet wurden sie mit der angeblichen Notwendigkeit, die Gebiete der Westukraine
mit dem Mutterland, also der Sowjetukraine, zu vereinigen. Da solche Ansprüche
aber nach dem Abschluss des Vertrags von Riga, der den polnisch-sowjetischen
Krieg beendete, nicht mehr offiziell erhoben werden konnten, wurden sie über
die kommunistische Bewegung (die polnische und die internationale) propagiert.
Paradoxerweise griffen ausgerechnet die Kommunistischen Parteien in Polen und
in der Sowjetunion die ukrainisch-nationalistische Parole Polen über den
San! auf und behaupteten, dies sei die Stimme des Volkes, ein uraltes Postulat
des ukrainischen Volkes, das nur dann verwirklicht werden könnte, wenn der Arbeiter
und Bauern-Staat, also die UdSSR, das ukrainische Volk unter seinen Schutz nähme
gegen die Unterdrückung durch das Polen der Gutsherren Praktisch wurde
dieses Postulat dann verwirklicht im Jahre 1939, als die Rote Armee ohne vorherige
Kriegserklärung die östlichen Gebiete der Zweiten Polnischen Republik unter
Berufung auf den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23.8.1939 (Molotow-Ribbentrop-Pakt)
besetzte. Die damals festgelegte Grenze zwischen der Ukrainischen Sozialistischen
Sowjetrepublik und dem deutschen Generalgouvernement folgte zu weiten Teilen
dem San von seiner Quelle bis zu seinem Mittellauf.
DIE WIEDERKEHR DER CURZON-LINIE
Als 1944 die Grenzfrage zwischen Polen und der UdSSR erneut auf die Tagesordnung
der Entscheidungsträger in Moskau kam, wurde bald klar, daß der Grenzverlauf
von 1940/41 nicht einmal für die polnische Vasallen-Regierung und erst recht
nicht für die polnische Gesellschaft akzeptabel sein würde. Deshalb berief man
sich auf das Projekt von 1919, die sogenannte CURSON LINIE. Allerdings war damals
die CURSON-LINIE gar nicht als Grenze entworfen worden, sondern als Demarkationslinie
des Obersten Rates der Entente, die es Polen erlauben sollte, in den Gebieten
westlich der Linie eine normale Zivilverwaltung aufzubauen, während der Aufbau
im Osten noch von weiteren Entscheidungen des Rates je nach Entwicklung der
politischen Lage abhing. Außerdem hatte die CURZON-LINIE in ihrem südlichen
Teil zwei Varianten, die sogenannte Linie A, die 80 km westlich von Lemberg
verlief und Przemysl auf der polnischen Seite ließ, und die Linie B, die nicht
nur Lemberg, sondern auch das Bergbaugebiet von Boryslaw und Drohobycz Polen
zuschlug.
Bekanntlich hat in den Jahren 1919-1921 die CURZON-LINIE für die Festlegung
der polnischen Ostgrenze letztlich dann doch keine Rolle gespielt, aber in den
Jahren 1942-45 kam sie wieder auf und wurde zu einem ernsthaften Argument für
die Moskauer Entscheidungsträger. Diesmal wurde allerdings die Linie A, also
die für Polen weniger vorteilhafte Variante, gewählt, was keiner weiteren Debatte
unterlag. Erstmals brachte die UdSSR im Jahr 1942 die Frage der polnischen Ostgrenze
in Gesprächen mit Großbritannien aufs Tapet. Im selben Jahre kommt sie dann
auch bei den polnisch-sowjetischen Verhandlungen zur Sprache. Trotz der polnischen
Proteste beharrte die sowjetische Seite auf dem Standpunkt, dass die 1939 besetzten
Gebiete an die Sowjetunion gehen sollten. Allerdings berief man sich nicht mehr
auf den Molotow-Ribbentrop-Pakt, sondern auf das Selbstbestimmungsrecht des
weißrussischen und des ukrainischen Volkes und die Plebiszite vom Oktober 1939.
Die polnischen Proteste halfen nicht viel, und im folgenden Jahr kam es auf
sowjetischen Druck zu einem britisch-amerikanischen Geheimabkommen, in dem die
Großmächte das Recht der Sowjetunion anerkannten, Litauen, Lettland, Estland
und die Ostgebiete Polens in ihren Staatsorganismus einzugliedern.
Die militärischen Erfolge der UdSSR von 1943 führten dazu, daß Großbritannien
und die Vereinigten Staaten gegenüber den sowjetischen Forderungen immer nachgiebiger
wurden, was dann bei der Konferenz von Teheran voll ans Licht kam. Dort wurde
in den Grundzügen auch der Verlauf der polnisch-sowjetischen Grenze (auch der
ukrainische Abschnitt) festgelegt, wobei man von der CURZON LINIE ausging. Im
Schlussdokument wurde allerdings nicht exakt definiert, ob Linie A oder Linie
B gelten sollte, womit den unterschiedlichen Interpretationen über die Zukunft
Lembergs Tür und Tor geöffnet waren. Die Teheraner Entscheidungen wurden weder
vollständig veröffentlicht, noch wurden sie der polnischen Regierung auf offiziellem
Weg übermittelt, was dieser eine realistische Politik gegenüber der UdSSR erschwerte.
Die britische Regierung setzte die polnische Exil-Regierung mehrfach unter
Druck, um ihr eine Zustimmung zur CURZON-LINIE abzuringen. Dabei bediente man
sich auch der Argumentation, diese Linie sei doch für Polen sehr viel vorteilhafter
als jene Grenzlinie, die nach der Besetzung der polnischen Ostgebiete durch
die Sowjetunion im Jahr 1939 gezogen worden war. Außerdem erhalte Polen ja zum
Ausgleich die Westgebiete bis zur Oder-Neiße-Linie. Die polnische Regierung
widerstand dem Druck. Sie konnte diese Vorschläge nicht annehmen, und sei es
auch nur mit Rücksicht auf die eigene Regierungskoalition, die von den zu Zugeständnissen
bereiten Sozialisten bis zu den Nationaldemokraten reichte, die nun ganz entschieden
das Prinzip der territorialen Unversehrtheit Polens verteidigten. Auch musste
man mit der herrschenden Meinung bei der polnischen Bevölkerung im besetzten
Polen rechnen, einer Bevölkerung, die großenteils auf Territorien außerhalb
der für ein befreites Polen geplanten Grenzen lebte und die nicht bereit sein
würde, Änderungen der Ostgrenze zuzustimmen.
Die Geschichte fügte es aber, daß der polnischen Haltung bald keinerlei internationale
Bedeutung mehr zukam, denn der britische und amerikanische Druck nahm zu, die
Rote Armee rückte vor und marschierte in früheres polnisches Gebiet ein. Zudem
begann man auf Inspiration von Moskau zuerst in der UdSSR, dann auch im besetzten
Polen mit der Gründung von politischen Institutionen, die ohne Vorbehalt bereit
waren, den sowjetischen Standpunkt in der Frage der polnischen Ostgrenze zu
unterstützen. Dazu gehörten ganz zu Anfang:
die seit 1942 im Land aktive Polnische Arbeiterpartei,
der 1943 in Moskau entstandene Bund der polnischen Patrioten, und
die Führung der an der Seite der Roten Armee kämpfenden Polnischen Volksarmee.
Sie gründeten 1944, ermutigt von Stalin und den der Sowjetunion gegenüber loyalen
Parteien, zunächst eine politische Vertretung in Gestalt des Landesnationalrats,
aus dem ein selbsternanntes Exekutivorgan hervorging, das Polnische Komitee
der nationalen Befreiung (PKWN), das von den Kommunisten als polnische Volksregierung
behandelt wurde. Dieses Komitee verhandelte dann zwischen dem 22. und dem 27.
Juli 1944 offiziell mit der sowjetischen Seite über die polnische Ostgrenze.
Nach einigen Verhandlungsrunden wurde ihr Verlauf vereinbart. Im ukrainischen
Bereich sollte sie vom Fluß San östlich der Siedlung Myczkowce, weiter östlich
von Przemysl und westlich von Rawa Ruska zum Fluß Solokija und zum westlichen
Bug nach Niemirow und weiter führen.
Es muss betont werden, daß diese Übereinkunft zwischen dem Komitee und der
sowjetischen Regierung letztendlich und definitiv über den Verlauf der polnischen
Ostgrenze entschied. Trotz späterer Verhandlungen zwischen der legalen polnischen
Exil-Regierung in London mit der sowjetischen Regierung, der Konferenz von Jalta,
dem Kriegsende und der Potsdamer Konferenz diese Grenze unterlag keinen wesentlichen
Verhandlungen mehr.
Die polnische Regierung in London und die Bevölkerung in Polen selbst akzeptierten
sie allerdings überhaupt nicht und zogen auch ihre rechtliche Gültigkeit in
Frage, indem sie darauf hinwiesen, dass die Grenzvereinbarung unter Moskauer
Diktat zustande gekommen sei. Man betrachtete dies als Versklavung des polnischen
Volkes und als Missachtung der legalen polnischen Behörden. Doch die militärischen
Erfolge der Roten Armee und die volle Unterstützung, die Stalin von Seiten Churchills
und Roosevelts genoss, hatten zur Folge, daß sich niemand um die polnischen
Proteste kümmerte, umso mehr, als die von der sowjetischen Armee befreiten Gebiete
der Verwaltung des PKWN unterstellt wurde.
Der Premierminister der polnischen Exilregierung, Stanislaw Mikolajczik, ständig
von Churchill unter Druck gesetzt, sah sich also gezwungen, eine Verständigung
mit Stalin zu suchen. Er akzeptierte zwar die CURZON-LINIE im nördlichen und
im mittleren Abschnitt, kämpfte aber immer noch um eine andere Grenzregelung
im Süden, die Lemberg auf der polnischen Seite belassen würde. Im Lande selbst
versuchte man, auf die Grenzziehung mit dem Warschauer Aufstand und mit
der Akcja Burza (Aktion Gewitter) Einfluß zu nehmen. Beide Aktionen
sollten die Exil-Regierung stärken. Leider aber entschied schließlich über den
weiteren Lauf der Dinge einerseits das Scheitern beider Aktionen, andererseits
die Zustimmung der britischen Regierung zur CURZON-LINIE.
So kam dann also auf der Jalta-Konferenz der drei Großmächte, die vom 4. bis
zum 11.Februar 1945 (ohne polnische Teilnahme) stattfand, die offizielle internationale
Zustimmung zur CURZON-LINIE zustande. In dem Communiqué, das nach Abschluss
der Konferenz veröffentlicht wurde, heißt es: ...die Ostgrenze Polens sollte
entlang der Curzon-Linie verlaufen, wobei in bestimmten Bereichen von dieser
Linie fünf bis acht Kilometer zum Vorteil Polens abgewichen werden kann.
(Selbstverständlich handelt es sich dabei um die Linie A, die Lemberg auf die
Seite der UdSSR schlug.)
Diese Beschlüsse wurden auch auf der Konferenz von Potsdam nicht mehr geändert,
und auf der bilateralen Konferenz in Moskau wurde der polnisch-sowjetische Grenzvertrag,
der den Verlauf der gemeinsamen Grenze definierte, am 16.August 1945 unterschrieben.
Ratifiziert wurde dieser Vertrag zuerst von der UdSSR und erst danach, am 31.Dezember
1945, vom selbsternannten polnischen Landesnationalrat, der über keinerlei verfassungsrechtliche
Legitimität verfügte. Wie es den damaligen Gebräuchen entsprach, wurde der Vertrag
einstimmig und ohne Debatte verabschiedet. Und da man wusste, daß diese Grenze
unter den damaligen Bedingungen niemals vom polnischen Volk akzeptiert werden
würde, verzichtete man von vornherein darauf, sie überhaupt öffentlich zur Debatte
zu stellen, obwohl es doch im Stalinismus kein Problem gewesen wäre, Wahlen
und Abstimmungen beliebig zu fälschen. In einem sogenannten Volksreferendum
wurde dann im Jahre 1947 nur die Westgrenze zur Abstimmung gestellt.
DIE NORMATIVE KRAFT DES FAKTISCHEN
Nach der Ratifizierung des Grenzvertrags wurde eine gemeinsame polnisch-sowjetische
Delimitierungs-Kommissions gebildet, die in der Zeit vom 7.März 1946 bis zum
27.April 1947 den genauen Grenzverlauf im Grenzgebiet festsetzte. Dabei wurden
nur kleine Korrekturen an dem in Moskau beschlossenen Projekt vorgenommen. Bis
1951 blieb diese Grenze am ukrainischen Abschnitt unverändert. Am 15.Februar
1951 wurde dann vertraglich ein Gebietsaustausch festgelegt, d.h. Polen wurde
gezwungen, 480 Quadratkilometer des sogenannten Bug-Knies abzugeben, also eines
Gebiets auf dem linken Bug-Ufer, westlich von Sokal zwischen Solokija und dem
Bug. Im Gegenzug erhielt Polen ein Territorium gleicher Größe in der Region
der Bieszczady mit der Kleinstadt Ustrzyki Dolne. Grund für den Gebietsaustausch:
Auf dem (vormals) polnischen Gebiet waren Steinkohlevorkommen entdeckt worden.
Nach dem Tausch errichtete die Sowjetunion dort einige Steinkohlegruben mit
einer jährlichen Förderquote von ca. 15 mio Tonnen. Außerdem gab es dort fruchtbaren
Ackerboden. Polen dagegen erhielt eine Gebirgsgegend mit schlechtem Ackerboden
und bereits ausgebeuteten Ölvorkommen. Mit der Zeit d.h. in dem Maße, wie
die Region bewirtschaftet wurde erwies sich das Gebirge allerdings als attraktiv
für den Tourismus, und zudem entstand ein großes Staubecken nebst Wasserkraftwerk
am San bei Solina...
Wie sieht nun die polnisch-sowjetische Grenzziehung aus der Sicht des polnischen
Rechts aus? Es gibt keinen Zweifel daran, dass diese Grenze in den ersten Nachkriegsjahren
Polen aufoktroyiert worden ist. Voll akzeptiert hat sie nur das illegale Regime,
während die polnische Bevölkerung einige Zeit brauchte, um sich daran zu gewöhnen.
Die Akzeptanz nahm sichtlich zu, obwohl dieser Prozess langsam verlief, begleitet
von verschiedenen positiven und negativen Erscheinungen:
1. Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Moskauer Regime, das in der Grenzfrage
unterstützt wurde von Großbritannien und den USA.
2. Die internationale Anerkennung der prosowjetischen Vasallenregierung in
Polen, die sich zu der neuen Grenze bekannte.
3. Der Bevölkerungsaustausch, der das Problem einer großen polnischen Minderheit
in der Ukraine gegenstandslos machte.
4. Die in den ersten Nachkriegsjahren beginnende Propaganda des Regimes, das
versuchte, die Ukrainer als Erbfeinde Polens und Urheber von Massenmorden an
Polen im II.Weltkrieg darzustellen. Die polnische Bevölkerung, die unter Ukrainern
lebte, habe sich ja doch schon immer unsicher gefühlt, weil die Ukrainer sich
im Kampf um ihr vermeintlich eigenes Territorium mit den Feinden Polens verbündet
hätten, und sie würden es den Polen niemals verzeihen, sollte Lemberg einmal
wieder zu Polen gehören.
5. Der Erziehungsprozess in den Schulen und Massenmedien, der versuchte, die
auf der ukrainischen Seite verbliebenen Gebiete als historisch authentisch ukrainisch
zu zeigen. Dieses Argument verband sich meist mit dem Hinweis auf die positiven
Folgen, die mit dem Gebietsausgleich im Westen und im Norden einhergingen. Man
sprach von der Heimkehr in alte piastische Gebiete. Häufig bediente
man sich auch ökonomischer Argumente: So wurde z.B. auf die Rohstoffarmut und
die schlechte Bodenqualität im Osten hingewiesen und gleichzeitig der große
wirtschaftliche Wert der West und Nordgebiete hervorgehoben, die reichen Steinkohlevorkommen
in Schlesien, der Zugang zum Meer. Gelegentlich wurde auch angemerkt, daß die
Grenzen dank der Neuregelung sicherer geworden seien. So kam z.B. die Rede auf,
Polen habe nun endlich Grenzen, die auf natürlichen geographischen Fakten beruhten:
Das Riesengebirge und die Karpathen, die Flüsse Oder und die Lausitzer Neiße,
und die Ostsee.
Eine große Bedeutung für die steigende Akzeptanz der polnisch-ukrainischen
Grenze in der polnischen Gesellschaft hatten der Dialog und die Kontakte zwischen
der polnischen und der ukrainischen Diaspora im Westen. Eine gewisse Rolle spielten
dabei auch die Kontakte der Intellektuellen, die Veröffentlichungen der Pariser
Zeitschriften Kultura und Zeszyty Historyczne, sowie einige Sendungen
von Radio Free Europe. Ende der 70er Jahre kam es auch zu Kontakten der
polnischen mit der ukrainischen Exilregierung. Beide Institutionen waren zwar
international nicht anerkannt und waren nur teilweise funktionsfähig, aber in
ihren Ländern besaßen sie bedeutende Autorität. Diese Gespräche führten dann
zu einer Erklärung über polnisch-ukrainische Zusammenarbeit, die am 28. November
1979 in London unterzeichnet wurde. Das wiederum hatte Auswirkungen auf die
demokratische Opposition in Polen, die dann in den 80er Jahren die polnisch-ukrainische
Grenze als gerecht und unverrückbar darstellte. Diese Haltung wurde auch bei
illegalen Kontakten mit der ukrainischen Opposition bekräftigt.
REISEN IM SOZIALISMUS
Wie kann man nun das Funktionieren der polnisch-ukrainischen Grenze in den
letzten fünfzig Jahren bewerten? Nach ihrer endgültigen Festlegung im Jahre
1947 wurde sie schnell für einige Jahrzehnte zur faktischen, sehr undurchlässigen
Grenze. Eine Fahrt aus Polen in die Ukraine konnte bis 1991 (also bis zum Ende
der Sowjetunion) nur auf der Grundlage von Einladungen zur Erledigung von Familienangelegenheiten
erfolgen, wobei sich die polnischen Passbehörden bemühten, solche Kontakte nach
besten Kräften einzuschränken. Je nachdem, ob in der UdSSR gerade Tauwetter
oder Eiszeit herrschte, waren diese Einschränkungen schwächer oder stärker.
Am schwierigsten war es in der stalinistischen Periode, die Grenze zu überqueren.
Jeder Reisewillige wurde sehr genau vom Geheimdienst überprüft und erhielt nur
unter großen Schwierigkeiten eine Ausreisegenehmigung.
Später wurde die Praxis dann zwar vergleichsweise liberaler, doch immer noch
war jeder polnische Bürger verpflichtet, sich nach seiner Ankunft an seinem
ukrainischen Reiseziel bei der Miliz zu melden. Er durfte sich nur dort aufhalten,
wohin er eingeladen war, durfte nur auf genau festgelegten Trassen reisen und
musste das Land an dem Tag verlassen, an dem seine Einladung endete. Zur damaligen
Zeit waren es meistens polnische Bürger ukrainischer Nationalität, die die Grenze
überschritten, weil vor allem sie ihre Ausreise mit der Notwendigkeit von Familienbesuchen
und der Erledigung von familiären Angelegenheiten begründen konnten.
Ohne größere Probleme reisten die Vertreter der staatlichen Behörden und der
Partei zu ihren offiziellen Besuchen und gemeinsamen Parteischulungen, und verhältnismäßig
leicht hatte es auch die Jugend, wenn sie sich im Rahmen des soziali-stischen
Jugendaustauschs ins jeweils andere Land begab. Erst in den 70er und 80er Jahren
nahm die Anzahl der von polnischen Reisebüros organisierten Ausflüge zu, doch
nur diejenigen konnten davon Gebrauch machen, die es sich durch gesellschaftliche
Arbeit, gute Noten im Studium oder ein gutes Arbeitszeugnis verdient hatten.
Für viele polnische Normalbürger bestand die einzige Möglichkeit, ohne Einladung
in die Ukraine zu kommen, in der Teilnahme an einem der sogenannten Freundschaftszüge,
also an organisierten Eisenbahnfahrten, die auf genau vorher definierten Trassen
und mit einem festgelegten Programm stattfanden und die dazu dienen sollten,
den Reisenden die Errungenschaften des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR
und die Höherwertigkeit des dort herrschenden Systems vor Augen zu führen. Für
die meisten polnischen Bürger waren diese Reisen allerdings aus anderen Gründen
attraktiv, weil sie nämlich eine Möglichkeit boten, Waren zu kaufen, die in
Polen mangelten oder zu teuer waren. Ein sehr populäres Mitbringsel war damals
z.B. Goldschmuck. Auf diese Weise finanzierten sich die Reisenden nicht nur
die Reisekosten, sondern verdienten auch noch etwas dazu. Individueller Tourismus
existierte damals überhaupt nicht.
Nach dem Entstehen der Solidarnosc-Bewegung 1980 wurde die polnisch
sowjetische Grenze vollständig abgeschottet. Diese Sperre (am schärfsten während
des Kriegszustandes vom 13.12.81 bis zum 22.7.83) dauerte fast bis Mitte der
80er Jahre. Erst in der zweiten Hälfte der 80er kam es unter Gorbatschows Perestrojka
zu einer gewissen Liberalisierung der Reisemöglichkeiten in die UdSSR, und man
konnte sich in der Ukraine einigermaßen frei bewegen. 1990 genügte bereits eine
Einladung irgendeiner in der Ukraine aktiven gesellschaftlichen Organisation.
So konnte auch ein breiterer polnisch-ukrainischer Kulturaustausch stattfinden,
obwohl er natürlich immer noch offiziellen Charakter trug und vom Staatsapparat
kontrolliert wurde. Auch reisten viele Polen damals in die Ukraine, um sich
dort mit den billigeren Konsum und Industrie-Artikeln einzudecken, was wiederum
Proteste der Ukrainer zur Folge hatte, für die solche Waren knapp wurden, und
man übte Druck aus auf die Zollbehörden, um die Ausfuhr ukrainischer Produkte
möglichst einzudämmen.
NACH DER WENDE
Nach der ukrainischen Unabhängigkeitserklärung (16.7.1990) und dem staatlichen
Unabhängigkeitsakt (24.8.1991) kommt es zu einer weiteren Liberalisierung der
Grenzkontrollen. Polen hat damals als erstes Land die Ukraine anerkannt, und
zwar schon am zweiten Tag nach dem Referendum, das am 1.12.1991 durchgeführt
wurde. Seither bestätigt die polnische Seite bei jeder Gelegenheit, sowohl bei
offiziellen Anlässen, als auch bei Begegnungen mit ukrainischen Politikern die
Unveränderbarkeit der polnisch-ukrainischen Grenze, so z.B. während des Polenbesuchs
des ukrainischen Premiers Witold Fokin am 1.10.1991 oder auch beim Besuch des
ukrainischen Verteidigungsministers Konstantyn Moroz am 14.1.1992. Schließlich
wurde dann am 18.Mai 1992 in Warschau ein Vertrag über gutnachbarschaftliche
Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen Polen und der Ukraine geschlossen,
in dem es wörtlich heißt, dass die bestehende und im Gelände delimitierte
Grenze von beiden Seiten als unverletzlich anerkannt wird. Beide Seiten bestätigen
gleichzeitig, daß sie keinerlei territoriale Ansprüche erheben und auch in Zukunft
nicht erheben werden.
Dieser Vertrags-Passus bezeichnet nicht den Beginn, sondern den Abschluss eines
Prozesses, der längst in der polnischen Gesellschaft Wurzeln geschlagen hatte.
Polen hat den Grenzverlauf der polnisch-sowjetischen, und dann vor allem (seit
1991) der polnisch-ukrainischen Grenze mit der Zeit akzeptiert. Öffentliche
Äußerungen, die den Grenzverlauf in Frage stellen, kommen praktisch nicht vor,
nicht einmal in den sogenannten Landsmannschaften, die gern das Wort
ergreifen, wenn es um den Schutz des polnischen Kulturerbes und der historischen
Monumente in der Ukraine geht.
Es gibt in Polen allerdings bei Leuten mit geringem Bildungsniveau gewisse
Ängste vor einem ukrainischen Revisionismus. So kommt es dann, dass politisch
schlecht informierte Kreise oder zweitrangige Provinz-Zeitungen Nachrichten
aus der Ukraine von sporadischen polenfeindlichen Zwischenfällen hochspielen.
So z.B. als vor einigen Jahren auf dem Kongreß der ukrainischen Nationalbewegung
RUCH die Wappen von Przemysl und Chelm gezeigt wurden. Anti-ukrainische politische
Kreise in Polen haben versucht, diesen Vorfall aufzubauschen, obwohl man auch
in Polen weiß, dass RUCH eine weit vom Grenzrevisionismus entfernte Gruppierung
ist. Gefährlicher waren da schon einige Artikel, die in ukrainischen Zeitschriften
wie NAZIONALIST und UKRAIJINSKYJ TSCHAS veröffentlicht wurden. Die letztere
veröffentlichte 1991 eine Landkarte, auf der das ukrainische Territorium bis
tief nach Polen hinein reicht. Der begleitende Text propagierte die Idee, die
Ukraine könne ihre volle Staatlichkeit erst dann erreichen, wenn sie sich die
noch fehlenden Territorien einverleibt hätte, auf denen in der Vergangenheit
einmal Ukrainer gelebt haben. Obwohl beide Zeitschriften nur kleine Auflagen
und eine minimale politische Bedeutung haben, trug das Echo ihrer Publikationen
in Polen besonders bei schlecht informierten Lesern zur Überzeugung bei,
die Ukraine akzeptiere die Grenze mit Polen nicht. Diese Meinung wurde und wird
allerdings weder von den Entscheidungsträgern des polnischen politischen Lebens
noch von den Intellektuellen geteilt.
Auf die neuen Entwicklungen im Grenzgebiet hatten auch Vereinbarungen und Verträge
Einfluss, die auf lokaler Ebene zwischen Vertretern der Gebietskörperschaften
und der Selbstverwaltung geschlossen wurden. Das erste Abkommen dieser Art wurde
bereits nicht ganz drei Wochen nach dem Referendum über die Unabhängigkeit der
Ukraine unterzeichnet, und zwar am 18.Dezember 1991 in Tomaszow Lubelski zwischen
den vier Woiwoden von Chelm, Zamosc, Przemysl und Krosno auf der einen, sowie
den beiden Vertretern der ukrainischen Regionalratsvorsitzenden (Obwod) von
Lemberg und Wolhynien auf der anderen Seite. Ziel des Abkommens Über die
Zusammenarbeit zwischen den grenznahen Wojwodschaften und den Regionen (OBWOD)
Polens und der Ukraine war es, Rahmenbedingungen für eine grenznahe Kooperation
auf allen Ebenen zu schaffen. Zu diesem Zweck wurde eine gemischte Kommission
gebildet, deren Aufgabe es war, die Vorschriften für Wirtschaftsbetriebe zu
analysieren, die Telefonverbindungen zu verbessern und den Grenzverkehr zu erleichtern.
Große Hoffnungen auf eine Belebung der Kontakte in der Grenzregion verband
man auch mit der Gründung des INTERREGIONALVERBANDES EUROREGION KARPATHEN am
14.Februar 1993, dessen Signatare Polen, die Ukraine, Ungarn und die Slowakei
wurden. Leider stieß diese Initiative in der Slowakei und in Polen auf gewisse
Widerstände bei der Bevölkerung, die von den Rechtsparteien noch angeheizt wurden,
da diese in den übernationalen Strukturen, die nur Teile der beteiligten Länder
einschlossen, eine Bedrohung für die Integrität ihres staatlichen Territoriums
sahen. Außerdem hatten anfänglich Polen und die Ukraine gar keine gemeinsame
Grenzlinie im Rahmen der Euroregion dazu kam es erst, als dann auch der Oblast
Lemberg beitrat.
Weiterhin wurden zwei Abkommen zur Regelung bestimmter Bereiche des gesellschaftlichen
Lebens abgeschlossen:
am 28.Juni 1993 über die Bekämpfung von Gefahren nach Naturkatastrophen (zwischen
dem Woiwoden von Przemysl und dem Chef der Zivilverteidigung der Lemberger Region),
und
am 21.November 1994 über polnisch-ukrai-nische Zusammenarbeit im Bereich
des Tourismus.
Die nächste Etappe im grenzüberschreitenden Verkehr war eine Reihe von Verträgen
zwischen den Woiwoden und Regionchefs der Grenzregion. Dem folgten Vereinbarungen
zwischen den Kommunen, wie z.B. am 10.Juni 1995 zwischen den Bürgermeistern
von Przemysl und Lemberg.
Die abgeschlossenen Verträge lassen allerdings einiges zu wünschen übrig. Sie
wirken sich zu langsam aus und haben es bisher noch nicht geschafft, die aus
sowjetischen Zeiten stammenden Relikte zu beseitigen und an der Grenze einen
den europäischen Normen entsprechenden Personen und Warenverkehr zu etablieren.
Die Gründe dafür sind vielfältig:
Sowohl Ukrainer als auch Polen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten
daran gewöhnt, dass auch die grenznahe Zusammenarbeit nur über den Umweg zur
Zentralmacht stattfinden kann und darf, denn damals wurden alle lokalen Initiativen
von der Zentralmacht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Die Grenzbehörden wurden darauf getrimmt, in jedem Grenzgänger einen potentiellen
Verbrecher zu sehen, umso mehr, weil die Versorgungsmängel in jedem Land dazu
führten, dass jeder Reisende Waren einführte, die im Einreiseland eben Mangelware
waren.
Diese Angewohnheiten, dazu der häufige Mangel an Höflichkeit und Korrektheit
von Seiten der Zöllner und Grenzschützer, verschwinden nur sehr langsam, da
ja viele der Beschäftigten ihren Beruf in den kommunistischen Zeiten gelernt
hatten. Auf der ukrainischen Seite sind bis heute noch zahlreiche Bestimmungen
aus den sowjetischen Zeiten in Kraft.
Die polnisch-ukrainische Grenze leidet auch an einem Mangel an Grenzübergängen.
Die bestehenden Übergänge bedürfen dringend der Erneuerung, weil sie zu Zeiten
entstanden sind, als der Grenzverkehr sehr eingeschränkt war. Heute sind sie
nun nicht mehr imstande, den mächtig angeschwollenen Reiseverkehr problemlos
zu bewältigen. So dauern die Zoll und Einreiseformalitäten sehr lange. Zudem
gelten alle bestehenden Übergänge ausschließlich als Kontrollpunkte für den
rollenden Verkehr. Daß man sie bis heute noch nicht zu Fuß überqueren kann,
erscheint geradezu absurd. Besonders für Menschen, die in der unmittelbaren
Grenzregion leben, ist das eine einschneidende Behinderung. Die schwierige finanzielle
Lage beider Staaten hat dazu geführt, daß die bestehenden Pläne zur Erweiterung
und Modernisierung der Grenzübergänge nur sehr langsam verwirklicht werden.
Gewisse Hoffnungen setzt man auf die geplante Ost-West-Autobahn, und die Woiwodschaft
Przemysl rechnet für den Fall, daß das Projekt realisiert wird, mit einer wirtschaftlichen
Belebung. Deshalb wurde 1995 auch die ZOLLFREIE ZONE MEDYKA-PRZEMYSL ins Leben
gerufen.
Ungeachtet der oben angeführten Probleme haben die Liberalisierung an der Grenze
und die vermehrte Ausgabe von Reisepässen in der Ukraine zu einem dramatischen
Anwachsen des individuellen Reiseverkehrs geführt, der zum größten Teil von
den Kleinhändlern genutzt wird. Auf der polnischen Seite gibt es praktisch keine
Beschränkungen für die Einreise von Ukrainern. Zwar wurden in den letzten Jahren
Stimmen laut (vor allem aus dem Lager der polnischen Christnationalen), die
sich für eine Begrenzung der Einreise aussprachen, doch entsprang das nicht
politischen Überlegungen, sondern ganz allgemein der Furcht vor Straftaten,
die von Ausländern begangen werden. Ähnliche Stimme konnte man auch hören, als
in der Ukraine eine Cholera-Epidemie ausbrach.
Die Forderungen nach neuerlichen Einschränkungen an der Grenze wurden bisher
nicht berücksichtigt, denn das polnische Außenministerium steht auf dem Standpunkt,
dass auch an der Ostgrenze möglichst westeuropäische Regelungen gelten sollten.
Bisher fanden die individuellen Reisen von Ukrainern nach Polen und von Polen
in die Ukraine auf der Grundlage von individuellen oder dienstlichen Einladungen
statt. Die letzteren waren leicht zu erhalten, es genügte der Stempel irgendeiner
legalen Organisation. Außerdem konnte man zu einem geradezu symbolischen Preis
eine getürkte Einladung kaufen. Am 17.September 1997 trat nun das Abkommen
über den visafreien Reiseverkehr zwischen Polen und der Ukraine in Kraft,
d.h. die Bürger beider Staaten können die Grenze ohne Visa mit einem gültigen
Reisepass überschreiten und sich danach maximal 90 Tage im anderen Land aufhalten
oder im Transit weiterreisen. Nur noch für längere Aufenthalte sind Visa vorgeschrieben.
Analysiert man den Reiseverkehr in den letzten Jahren, so fällt ein starker
Rückgang der Reisen polnischer Bürger in die Ukraine auf, während die Zahl der
nach Polen einreisenden Ukrainer ständig steigt. 1995 überquerten 3.400.000
Menschen den größten Grenzübergang in Medyka in beide Richtungen. Bei der Einreise
wurden 1.500.000 Ausländer und 100.000 Polen gezählt, bei der Ausreise 1.700.000
Ausländer und ebenfalls 100.000 Polen. Ähnliche Relationen finden wir an den
anderen Übergängen. Im Jahr 1996 betrug die Gesamtzahl der grenzüberschreitenden
Personen 10.600.000. Der Reiseverkehr nimmt ständig zu. Im Verhältnis zu 1995
um 10,4%, im Verhältnis zu 1994 um 60,5%.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
1. Obwohl die polnisch-ukrainische Grenze Polen durch die Staaten der Anti
Hitler-Koalition unter Umgehung der legalen polnischen Regierung aufgezwungen
worden ist, wird sie heute von der polnischen Gesellschaft ohne Einschränkung
akzeptiert. Unter den zahlreichen Faktoren, die zu dieser Akzeptanz geführt
haben, sind hervorzuheben insbesondere die Umsiedlung der Polen aus den ukrainischen
Gebieten nach Polen und die Umsiedlung der Ukrainer aus Polen in die Ukraine,
sowie die Begründung des Grenzverlaufs mit historischen und ethnographischen
Argumenten. Außerdem sorgte die Zusammenarbeit der antikommunistischen Opposition
beider Länder und die Loslösung beider Staaten aus der Moskauer Abhängigkeit
für eine Akzeptanz dieser Grenze.
2. Zu sowjetischen Zeiten war die polnisch-ukrainische Grenze eine Barriere,
die den freien Austausch von Menschen, Waren und Gedanken behinderte.
3. In den Jahren 1989 bis 1991 begann die Funktionsveränderung der Grenze,
von einer schrittweisen Liberalisierung bis zum visafreien Reiseverkehr heute.
4. Um weitere Fortschritte zu erreichen, ist es notwendig, die Zahl der Grenzübergänge
zu erhöhen, die bestehenden Übergänge zu modernisieren und die Grenzbehörden
besser auszubilden.
5. Die polnisch-ukrainische Grenze wird in der Zukunft eine bedeutende Rolle
für Kommunikation und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Europäischen
Union und Osteuropa spielen.
(aus dem Polnischen von Olha Sidor)
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11
1997
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