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Tadeusz Andrzej Olszanski

Zur Entstehung Der Polnisch-Ukrainischen Grenze

Seit über tausend Jahren sind Polen und Ukrainer Nachbarn, aber eine Staatsgrenze zwischen Polen und der Ukraine existiert erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Frühere Grenzen zwischen Polen und der Kiewer Rus' hatten einen anderen Charakter als eine heutige Staatsgrenze, sie trennten vorwiegend einzelne polnische und ruthenische Fürstentümer.

Die erste Grenze zwischen Polen und der Ukraine, als Grenze zwischen zwei unabhängigen Staaten, wurde nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1920 mit dem WARSCHAUER VERTRAG (Pilsudskij-Petljura-Pakt ) festgeschrieben. Nach diesem Vertrag sollte die Grenze, ausgehend vom Fluß Dnister, den Fluß Zbrutsch entlang bis zum Städtchen Wyschohorodok verlaufen (wo früher einmal die österreichisch-russische Grenze war), weiter entlang der Kreminezka Platte, dann westlich vorbei an der Stadt Ostroh, dann entlang der östlichen Kreis-Grenze des Kreises Rivne und der westlichen Gebiets-Grenze des Oblast Minsk, weiter dann entlang dem Fluß Prypjatj. Ein Jahr später wurde der Verlauf dieser Grenze bei den Friedensverhandlungen zwischen der Republik Polen und Sowjetrußland bestätigt. (Formal war daran auch die Sowjetukraine beteiligt.)

Obwohl der RIGAER VERTRAG (1921) einen Passus enthielt, in welchem beide Seiten auf Rechtsansprüche bezüglich der jenseits der Grenze liegenden Gebiete verzichten", fühlte sich nur die Republik Polen an diese Verpflichtung gebunden. Für die Sowjets handelte es sich bloß um vorläufige Zugeständnisse; der größte Teil der Vertragsbestimmungen wurde von Moskau nicht erfüllt. Und sobald sich eine Möglichkeit bot, verletzte Moskau den Vertrag, um sich die Gebiete anzueignen, auf die es zuvor feierlich verzichtet hatte.

Die Sowjetunion hat formell den Rigaer Vertrag niemals aufgekündigt, und sie begründete seine Verletzung mit einem angeblich vom Internationalen Recht gestützten Recht, weil nämlich 1939 der Polnische Staat nicht mehr existiert habe. Diese Behauptung berief sich auf ein im Internationalen Recht keineswegs anerkanntes Prinzip rebus sic stanitbus (So ist der Stand der Dinge"). Eine formelle Kündigung des Friedensvertrags hätte nur mittels einer Kriegserklärung zustande kommen können. Aber weder die sowjetische noch die polnische Regierung haben eine Kriegserklärung ausgesprochen, deshalb hat auch der Rigaer Vertrag, formaljuristisch gesehen, seine Gültigkeit niemals verloren. Die tatsächlichen Ereignisse des Jahres 1939 haben ihn dann endgültig ausgestrichen, man sollte aber nicht vergessen, daß er seine Gültigkeit nur via facti verlor - durch die Kraft der Fakten.

Gleichwohl konnten weder der von Anbeginn an illegale MOLOTOW-RIBBENTROP-PAKT von 1939 noch die von der illegalen kommunistischen Macht 1944 und 1945 unterzeichneten Grenzverträge eine gesetzliche Grundlage für neue Grenzen bilden. So hatte also die polnisch-ukrainische Grenze in der Nachkriegszeit bloß den Charakter einer provisorischen, wenn auch faktischen und international garantierten Grenze. Einen legalen Charakter als Grenze verlieh ihr erst der POLNISCH-UKRAINISCHE VERTRAG von 1992, in dem die souveränen und legalen Regierungen beider Staaten einen den heutigen Prinzipien der europäischen Politik entsprechenden und unabänderlichen realen Zustand bestätigten.

Nach dem Überfall auf Polen im Jahr 1939 besetzte die Sowjetunion einen bedeutenden Teil des polnischen Territoriums und annektierte diese Gebiete unrechtmäßig - nach Internationalem Recht. Die sowjetische Regierung erwähnte in diesem Kontext die CURSON-LINIE (allerdings nur den Mittelteil am Fluß Bug). Die sowjetisch-deutsche Demarkationslinie von 1939 fiel mit dieser Linie zusammen. Die von Curson vorgeschlagene Linie ging in ihrem mittleren und südlichen Teil bis zum Städtchen Dolhobytschov, dann entlang der österreichisch-russische Grenze in südwestlicher Richtung, östlich an Przemysl und Chyriw vorbei bis zum Uzockij Gebirgspaß (der genaue Verlauf war auf im galizischen Abschnitt niemals detailliert bestimmt worden). Diese Strecke, die im mittleren und nördlichen Abschnitt der Grenze des Russischen Imperiums von 1795 entsprach, hatte wenig gemein mit einer ethnographischen Abgrenzung, obwohl Curson selbst das seinerzeit wohl geglaubt hatte. Die Demarkationslinie von 1939 folgte dann weiter dem Fluß Bug bis zur Quelle des Flusses Solokija und weiter in westlicher Richtung an Belzec vorbei bis zum Fluß San, nicht weit von Ssinjava (Quelle des Flusses Wislok), und den Fluss San entlang bis zu seiner Quelle, das heißt: in ihrem mittleren Abschnitt wurde die Linie von 1939 bedeutend weiter westlich gelegt als im Jahr 1919 die Curson-Linie.

Bei Kriegsende zeigte sich Stalin aus unerfindlichen Gründen geneigt, einige Zugeständnisse zugunsten Polens zu machen. Nach dem GEHEIMVERTRAG ZWISCHEN DER SOWJETISCHEN REGIERUNG UND DEM POLNISCHEN KOMITEE DER NATIONALEN BEFREIUNG vom 27.Juli 1944 sollte die Curson-Linie als Grundlage für die neue Grenzziehung dienen, mit bestimmten Korrekturen zugunsten Polens: So sollten z.B. Przemysl und Lobatschov an Polen gehen und auch einige Gebiete östlich der Curson-Linie bis zu den Flüssen Sachidnyj Bug und Sokalija" (dieses Territorium war von den deutschen Okkupanten als Teil des Lubliner Distrikts dem Generalgouvernement zugeschlagen worden). Unklar bleibt allerdings, welche Rolle im Juli 1944 das Polnische Komitee der nationalen Befreiung spielte.

Es gibt Berichte, nach denen Nikita Chruschtschow 1944 versucht habe, die sogenannten Cholm-Gebiete am linken Ufer des Bugs (in etwas der Oblast Cholm, den die Zarenregierung 1912 eingerichtet hatte), der UdSSR anzugliedern. Diese Idee sei nicht ernsthaft in die Verhandlungen eingegangen, noch nicht einmal als Drohung, vielleicht weil Stalin nicht einverstanden war. Wenige haben aber davon gewusst.

Im August 1945, während der weiteren Verhandlungen, die von einem nicht mehr von der Sowjetunion abhängigen Land geführt wurden, versuchte die polnische Seite die Grenze so weit nach Osten zu schieben, daß das Boryslawer Erdölbecken, die Kaligruben bei Stebnyk und auch die Eisenbahnknotenpunkte in Rawa-Russjka und Chyriw, die von großer ökonomischer Bedeutung für Polen waren, zum polnischen Territorium gehörten. Als Ersatz bot Polen Gebiete zwischen den Flüssen Bug und Sokalija und zusätzlich ein Gebiet bei Lubytsch Krolewska an. Die sowjetische Seite lehnte diese Vorschlage ab und schlug nun ihrerseits vor, Polen solle auf die Gebiete zwischen dem Fluss San und der polnisch-tschechoslovakischer Grenze östlich von Wetlyna verzichtete (die Grenze sollte sich von Smolnyk bis zur tschechoslowakischer Grenze in Kremenos hinziehen). Die polnischen Vertreter, insbesondere der bekannte Geograph Stanislaw Listschycki, hielten sich aber an den Vertrag von 1944, und seither gehörte dieses Territorium endgültig zu Polen.

Der POLNISCH-SOWJETISCHE GRENZVERTRAG wurde am 16. August 1945 unterzeichnet. Damit war eine im Vergleich mit der Demarkationslinie von 1939 für Polen günstigere Grenze festgeschrieben. Polen bekam insgesamt 22.000 qkm mehr, vor allem im Norden, wo die sowjetischen Zugeständnissen bedeutend größer waren.

Die endgültige Festlegung der neuen Grenze wurde zwischen März 1946 und April 1947 (nach anderen Angaben: Juli 1948) ausgearbeitet. Wann genau der polnisch-ukrainische Abschnitt behandelt wurde, wissen wir nicht. Mit Rücksicht auf landschaftliche Gegebenheiten, Straßennetz etc. wurden noch bestimmte Korrekturen der Grenzlinie zugelassen. Polen versuchte verschiedentlich, bessere Positionen auszuhandeln, einmal, um die Eisenbahnstationen in Medyka und Chyriw zu behalten, zum anderen, um die Grenze westlich von Chorna so zu ändern, daß am San der Bau von Staubecken möglich wurde (das Projekt des Staudamms von Salin stammte noch aus der Vorkriegszeit). Im ersten Punkt - Medyka - hatte die polnische Seite Erfolg. Zusätzlich bekam Polen noch einige Ortschaften an der Grenze: Sidlyska, Jakmanci, Sirakosti und möglicherweise Nowosioki Dydynski. Was in diesen Orten mit der Bevölkerung geschah, wissen wir nicht.

Drei Jahre später schlug die Sowjetunion einen AUSTAUSCH VON GRENZGEBIETEN vor. Nach dem VERTRAG vom 15. Februar 1951 wurden dann etwa 480 qkm des Gebietes Lublin an die Ukrainische SSR abgetreten. Im Gegenzug bekam die Volksrepublik Polen ein Gebiet von derselben Größe in den Westkarpaten. Auf dem Territorium, das der Ukraine zugeschlagen wurde, lagen einige Städte, nämlich ein Teil der Stadt Sokal sowie die Städte Uhniw und Krystonopol (heute Tschervonograd) mit einigen Kohlengruben. Im Abschnitt zwischen Krylow und Dolhobytschow (der mit der Curson-Linie zusammenfällt) entfernte sich die neue Grenze vom Bug, ungefähr 30 km nördlich der Mündung des Flusses Sokalija. Auf den Gebieten, die Polen bekam, lagen die Städtchen Nyshni Ustryki, die Erdölfelder von Tschorna mit lokaler industrieller Bedeutung, sowie einige weitere Bohrstellen an anderen Orten.

Die polnischen Vertreter versuchten das Austauschterritorium so zu erweitern, daß Polen auch die Eisenbahnstrecke Nyshankowytschi-Chyriw -Smolnycja (ohne Chyriw selbst) bekommen sollte. Die sowjetische Seite verlangte aber für dieses Zugeständnis Gold, und die polnische Seite lehnte ab. (Erst in den 60er Jahren gelang es, eine Transitstrecke von Przemyschl nach Nyshni Ustryki einzurichten.) Die neue Demarkation wurde zwischen Juli und Oktober ausgehandelt, das entsprechende Protokoll am 5. November 1951 unterzeichnet. Das ist der Tag der entgültigen Festlegung der polnisch-ukrainischer Grenze.

1952 schlug die Sowjetunion eine neuerliche Grenzverschiebung am Lubliner Abschnitt vor, um bessere Bedingungen für die Steinkohleförderung zu erreichen. Die Austauschfläche sollte 1250-1300 qkm betragen. Die Ukraine sollte ein Territorium östlich der Grenze bekommen: Berezhnja am Bug (nördlich von Gorodl) - Werbkovytschi - Tyschowzi - Lastschiw - Korne - Grubeschow. Im Gegenzug sollte Polen folgende Gebiete erhalten: Pozdjatsch (heute Leschno) - Husakiw - Werchiwci - Skelinka - Stara Sil - Staryj Sambir (der ukrainischen Teil) - Strilky - Boberka - Sokalyki Hirski am Fluß San, Chyriw und Dobromyl. Allerdings ist die Landkarte mit den Vorschlägen recht undeutlich, und anhand dieser Karte können wir heute schwer feststellen, welche der erwähnten Orte der polnischen oder ukrainischen Seite gehören sollten. Soweit uns bekannt ist, kam es damals zu keinen Verhandlungen in dieser Angelegenheit. Kürzlich hat Ivan Koslovskij darüber berichtet.

Das unabhängige Polen und die unabhängige Ukraine ließen keinen Zweifel daran, daß die existierende polnisch-ukrainische Grenze unverändert bleiben soll, in Erwägung der Interesse beider Staaten und in Anerkennung der Bestimmungen des Internationalen Rechtes, das auf der Unverletzlichkeit der Grenzen beruht. Im POLNISCH-UKRAINISCHEN VERTRAG vom 18. Mai 1992, Artikel 2 heißt es: Die existierende und im Gelände markierte Grenze bleibt unverletzlich, gleichzeitig wird bestätigt, daß beide Seiten keine territorialen Anspruche erheben und auch in Zukunft nicht erheben werden".

Als Ausführung der Vertragsbestimmungen folgte dann am 12. Januar 1993 die Unterzeichnung einer VEREINBARUNG ÜBER DIE RECHTLICHEN BEZIEHUNGEN AN DER POLNISCH-UKRAINISCHEN GRENZE. Sie bestätigte die aktuelle Grenzlinie und regelte die Durchführung der Grenzangelegenheiten, mit Ausnahme der Regelung des Grenzübertritts, dazu existieren gesonderte Vereinbarungen. Wir fügen hinzu, daß sich das System der Grenz-Markierung (paarweis hohe Grenzpfähle und niedrige Markierungen) sich von der Markierung an der polnisch-tschechoslowakischen Grenze (niedrige Pfähle in einer Reihe) unterschieden hat. Dieses System ist bis heute so geblieben, nur daß die Pfähle auf der ukrainischen Seite heute die Nationalfarben tragen.

Noch während des Zusammenbruchs der Sowjetunion war der Grenzverkehr durch die VEREINBARUNG ÜBER DEN VISAFREIEN AUSTAUSCH vom 13. Dezember 1979 geregelt. Sie blieb gültig (entsprechend dem Prinzip der Rechtsnachfolge der Staaten) bis zum Abschluß einer neuen VEREINBARUNG ÜBER DEN GRENZVERKEHR, die am 25. Mai 1996 unterzeichnet wurde. Nachdem die polnische Regierung minimale Einreisegebühren für ukrainische Bürger festgelegt hatte, trat diese Vereinbarung am 17. August 1997 in Kraft. Die Ukraine hat bis jetzt keine obligatorischen Einreisegebühren für polnische Bürger eingeführt.

Vorerst bleibt die polnisch-ukrainische Abmachung über das vereinfachte Verfahren des Grenzübergangs vom 14. Mai 1985 gültig. Demnach brauchen die Bewohner der Grenzgebiete beim Grenzübergang (kleiner Grenzverkehr) nur ihren Ausweis vorzuzeigen. Es wäre aber empfehlenswert, stattdessen andere Dokumente einzuführen. Denn zahlreiche Ukrainer, die aus dem heutigen polnischen Territorium in die UdSSR umgesiedelt worden waren, wollten diese Abmachung für Gruppen-Besuche in ihrer früheren Heimat ausnützen. Das widerspricht aber der Idee und dem Inhalt des kleinen Grenzverkehrs. Nicht daß Polen solche Besuche" verhindern sollte, aber sie sollten besser mit (internationalen ) Reisepässen durchgeführt werden.

Zum Zeitpunkt der ukrainischen Unabhängigkeitserklärung gab es an der gesamten polnisch-ukrainischen Grenze nur zwei Eisenbahnübergänge (Medyka-Schehyni und Dorogopusk-Jagodyn) und drei PKW-Übergänge, zwei an denselben Orten sowie einen zusätzlich in Grebenij-Rawa-Russjka; der letztere war damals ausschließlich den Bürgern aus Polen und aus der UdSSR zugänglich. Auf der Eisenbahnlinie Grubeschow-Katow (Breitspur) gab es und gibt es bis heute keinen Grenzübergang, hier wird nur bei gegebenem Anlaß kontrolliert. Allerdings wurde diese Strecke in der letzten Zeit Strecke kaum benutzt.

Zur Zeit existieren an der polnisch-ukrainischen Grenze drei Eisenbahn-Übergänge (neuerdings auch noch bei Kroscjenko-Smolnycja) und fünf PKW-Ubergänge (neuerdings auch noch bei Zasin-Ustylug und Kortschowa-Krakiwezj). Das vereinfachte Verfahren des Grenzenübergangs gilt in Dolgobytschiw, Mlyny, Maljhovyzi und Krosjzenk. Die Grenzübergänge in Medyka, Hrebenne und Dorogopusk (sowohl für Eisenbahn als auch PKW) sind für Bürger aller Staaten offen, die anderen nur für Bürger Polens und der Ukraine. In absehbarer Zeit kommt noch der Grenzübergang in Kortschowa dazu; er liegt an der Autobahnstrecke Dresden-Kiew, die bald fertig gebaut sein wird.

Der einmal von Polen eingebrachte Vorschlag, im Interesse des Fremdenverkehrs im Gebirge Grenzübergänge für Fußgänger einzurichten, hätte von der ukrainischen Seite Änderungen im System der Grenzsicherung verlangt. Andererseits blieben die Bemühungen der Gebietsverwaltung in den Transkarpaten, einen PKW-Übergang auf der Paßstraße Beskyd-Wolossazjki zu öffnen, erfolglos, denn der zu erwartende starken Autoverkehr in einem der wertvollsten polnischen Naturparks würde diesem Gebiet erhebliche ökologische Schäden zufügen.

Die Lage an allen Grenzübergängen bleibt schwierig, weil sie (ganz besonders die PKW-Übergänge) für den heutigen intensiven Verkehr nicht ausgelegt sind. Diese Situation müßte verbessert werden, nicht nur durch den Ausbau der Grenzübergänge selbst, sondern auch durch den Ausbau der Straßen im Grenzgebiet und durch eine Modernisierung des Eisenbahnnetzes, denn der Eisenbahnverkehr sollte künftig für den Transport von Waren und Personen eine größere Rolle spielen. Auf diesem Gebiet gibt es viele Möglichkeiten, aber sie verlangen auch große finanzielle Mittel.

aus dem Ukrainischen von Nadija Hrynyk

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N12 / 1998

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1998