Wilfried Telkämper
Schengen Und Die Folgen
Öffnung Nach Innen - Abschottung Nach Aussen
Die 15 Staaten der Europäischen Union befinden sich gegenwärtig
in einem Transformationsprozeß vom jeweiligen Nationalstaat hin
zu einem EU-Staatenverbund. Schon das bundesdeutsche Verfassungsgericht
hat in seinem Urteil zum Vertrag von Maastricht 1993 diesen Begriff
Staatenverbund verwandt, weil das sich entwickelnde Miteinander der
EU-Staaten mehr sein wird als ein Staatenbund, aber weniger als ein
neuer Nationalstaat.
Die Gesellschaften der einzelnen Mitgliedstaaten haben hier eine große
Aufgabe und Verantwortung. Allerdings ist bisher EU-Europa nicht von
unten durch seine Bürger gewachsen, sondern von oben herab durch
die jeweiligen Regierungen konstruiert. Eine EU-Identität der Bürgerinnen
und Bürger hat sich bisher nur in wenigen Gebieten herausgebildet.
Eine eigenständige demokratische Entwicklung der EU ist noch in
weiter Ferne. Nicht einmal ein verfassungsgebender Prozeß ist
absehbar.
Doch gerade der Begriff des EU-Staatenverbundes enthält die Entwicklungschance
zu einem friedlichen Miteinander der europäischen Staaten unter
Wahrung ihrer kulturellen Identitäten.
Real befinden wir uns aber nach wie vor in der Situation eines gespaltenen
Europas; gespalten zwischen EU-Europa und den Reststaaten. Innerhalb
der EU hat sich ein gemeinsamer Markt entwickelt, der die Grenzen im
Innern für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen im Sinne
von Arbeitskräften geöffnet, nach Außen jedoch umso
mehr verschlossen hat. Dieser Markt wird ab 1. Januar 1999 zu einer
gemeinsamen Währungsunion weiterentwickelt. Allerdings haben es
die Regierungschefs im Vertrag von Amsterdam vom Oktober 1997 versäumt,
dieser ökonomischen Entwicklung eine demokratisch kontrollierende,
politische Instanz gegenüberzustellen. Die EU ist in ihrer Struktur
nach wie vor so undemokratisch, daß sie sich gemessen an den Anforderungen
gegenüber Drittstaaten bezüglich der demokratischen Entwicklung
der Menschenrechte selbst nicht beitreten könnte. Die Gewaltenteilung
existiert nicht, die Regierungsvertreter sind auch nach dem Amsterdamer
Vertrag die EU-Legislative, die auf ihrem Heimflug in die nationalen
Hauptstädte zur nationalen Exekutive mutieren, und das umsetzen
müssen, was sie vorher selbst beschlossen haben.
Soziale und ökologische Politik ist bisher ganz unberücksichtigt
geblieben. Im Gegensatz dazu wird aber eine Gemeinsame Außen-
und Sicherheits- (sprich: Militär-) Politik entwickelt, die von
der bisherigen Markt- und Währungspolitik der EU hinführt
zu einer neuen gemeinsamen Hegemonialpolitik der 15 Mitgliedstaaten.
Durch Sonderverträge oder -abkommen wie z.B. einer gemeinsamen
militärischen Zusammenarbeit - etwa der DEUTSCH-FRANZÖSISCHEN
BRIGADE - werden neue außenpolitische Realitäten geschaffen.
Entsprechend gibt es auch innenpolitische Entwicklungen wie mit dem
Schengener Abkommen.
Wer in Brüssel am Flughafen ankommt, findet einen eigenen Eingang
für EU-Angehörige und einen zweiten für Menschen aus
Drittstaaten. Hier wird die Entwicklung zu neuen Außengrenzen
offensichtlich.
Seinen Anfang genommen hat dieser neue Grenzziehungsprozeß 1985.
Damals unterschrieben die Innen- und Justizminister der Beneluxstaaten,
FrankreichS und der Bundesrepublik das erste Schengener Abkommen. Dieses
Abkommen sollte die Einführung des Binnenmarktes flankieren: nicht
nur grenzenlos freier Austausch von Waren und Geld, auch die EG-Bürger
sollten im neu geschaffenen Markt ohne lästige Zollkontrollen hin-
und herreisen können.
Dieses Abkommen, das in Schengen/Luxemburg unterzeichnet wurde, bildete
das Modellprojekt für die innen- und rechtspolitische Zusammenarbeit
in Europa. Es wurde auf Betreiben der deutschen und der französischen
Regierung abgeschlossen, ohne daß die nationalen Parlamente, die
europäische Volksvertretung oder gar die Öffentlichkeit in
den Mitgliedstaaten informiert oder beteiligt worden wären. Bei
der Revision des Maastrichter Vertrags einigten sich die Regierungschefs
zwar auf die Übernahme des Schengener Abkommens in den EG-Vertrag.
D. h. die bisherige intergouvernementale Zusammenarbeit wird abgelöst.
Alle Gemeinschaftsorgane sollen in Zukunft an Schengen beteiligt sein
und es kontrollieren. Allerdings besteht eine großzügig bemessene
Übergangsfrist von fünf Jahren. Und was noch entscheidender
ist: Es wurde nicht festgelegt, in welcher Form beispielsweise das Europäische
Parlament an den zukünfigen Entscheidungen im Rahmen von Schengen
partizipieren wird.
Bislang sind Italien, Spanien, Portugal und Österreich dem Abkommen
beigetreten. Norwegen und Island als Nicht-EU-Mitglieder sind dem Abkommen
nur assoziiert, haben die Regeln aber voll anerkannt. Grundsätzlich
an einem Beitritt interessiert sind auch Griechenland und die Schweiz,
Großbritannien und Irland, wobei letztere bereits an der Polizeikooperation
teilnehmen, dem Abkommen aber noch nicht formal beigetreten sind. Ratifizierungsabkommen
laufen mit Dänemark, Schweden und Finnland. Sie mußten sich
einem harten Diktat der Schengen-Staaten unterwerfen, denn sie haben
keinen Einfluß auf die Formulierung und Auslegung der Schengen-Regeln.
Sie sind gezwungen zu akzeptieren und umzusetzen, was die Gründungsmitglieder
von Schengen beschlossen haben. Dies ist die einzige Möglichkeit,
am grenzkontrollfreien Raum mit all seinen Vorteilen für den Warenverkehr
teilzunehmen. Ansonsten würde die hermetisch gesicherte Außengrenze
des Schengener Abkommens mitten durch die Europäische Union verlaufen,
zum Nachteil derer, die draußen stehen.
Die Freizügigkeit an den Binnengrenzen soll aber nicht die freie
Fahrt für Straftäter, insbesondere aber für Flüchtlinge
oder Migrantinnen bedeuten: sie werden zunehmend als Gefahr für
die innere Sicherheit der Schengenstaaten dargestellt. Um den SICHERHEITSVERLUST
wettzumachen, waren deshalb von vornherein Maßnahmen beschlossen
worden, die die EU-Außengrenzen zu einer HARTEN GRENZE machen
sollten. In SCHENGENLAND hat jeder Staat weniger Grenzen im bisherigen
Sinne, ist aber zugleich für mehr Grenzen mitverantwortlich und
muß sich im Interesse seiner Sicherheit für mehr Grenzen
interessieren: die Oder-Neiße-Linie ist auch die Grenze Frankreichs,
seine neue Ostgrenze geworden, Deutschland muß sich dafür
interessieren, was in Ceuta am spanisch-marokkanischen Flüchtlingszaun
passiert, alle interessieren sich für die Grenzen Italiens mit
Schengenland und was zwischen Italien und Albanien vor sich geht.
Vor diesem Hintergrund wurde ein gemeinsames Visum für sog. DRITTAUSLÄNDER
eingeführt, und die Liste der Staaten, deren Bürger ohne Visum
einreisen dürfen, wird gemeinsam festgelegt. Die gemeinsamen strikten
Visaregelungen führen dazu, daß nur sehr begrenzt Menschen
aus anderen Teilen der Welt in das Schengener Vertragsgebiet einreisen
können. Darüber hinaus wurde die Rechtshilfe in Strafsachen
und Auslieferungen erweitert und die Geschäftswege vereinfacht.
Angeglichen hat sich auch der Standard der Außengrenzkontrollen.
Vorreiter dabei ist die BRD. Ihre Außengrenzen, also die deutsch-polnische
und die deutsch-tschechische Grenze, werden mit einem massiven Einsatz
von Bundesgrenzschutz, bayrischer Polizei und Zoll gesichert. Über
10.000 PolizistInnen und Zollbeamte stehen inzwischen an den deutschen
Ostgrenzen. Bereits im Sommer 1996 schwärmte man beim Grenzsschutzpräsidium
Ost von der HÖCHSTEN GRENZPOLIZEILICHEN DICHTE IN GANZ EUROPA.
An den offiziellen Grenzübergängen und auf den Flughäfen
werden die Reisenden sortiert in BürgerInnen der EU und von Drittstaaten.
Letztere müssen eine peinlich genaue Kontrolle über sich ergehen
lassen. Stichproben werden jedoch auch bei den EU-Staatsangehörigen
gemacht. Da trifft es insbesondere Menschen, die nicht dem Aussehen
mitteleuropäische DurchschnittsbürgerInnen entsprechen. Sie
sind grundsätzlich verdächtig, illegal einwandern zu wollen,
mit Drogen zu dealen oder sonstige Missetaten aus dem Katalog der Organisierten
Kriminalität zu planen.
Nach dem selben Muster verfährt der Bundesgrenzschutz und die
Länderpolizei bei der Auswahl der Kontrollierten innerhalb des
30 km tiefen Binnengrenzraums im Westen der BRD. In dieses Gebiet wurde
nach dem Abbau der Grenzkontrollen die Überwachung in Form eines
SICHERHEITSSCHLEIERS verlagert. Darüber hinaus soll nach den Vorstellungen
von Bundesinnenminister Kanther die Bahnpolizei in Zukunft auf dem gesamten
Bundesgebiet eingesetzt werden und Kontrollen durchführen. Die
Feindbilder der kontrollierenden Beamten werden zum Maßstab; die
VISUELLE GESAMTKONTROLLE kann jederzeit zur Kriminalisierung führen.
Wer nicht dem Durchschnittstyp entspricht, wer dunkelhäutig ist
(wie ein Flüchtling) oder gebrochen deutsch spricht (wie ein Ausländer)
läuft wachsende Gefahr, verfeinerten Formen von Repression zu unterliegen.
Verfälschend ist es daher, wenn durch das populäre Motto
der ÖFFNUNG DER SCHLAGBäUME und des FREIEN PERSONENVERKEHRS
suggeriert wird, Schengenland bestehe aus einer großen Familie.
Die nationalen Grenzen sind in Europa optisch nahezu verschwunden, sie
haben sich jedoch vervielfacht und unsichtbar ins Landesinnere verschoben.
Polizeizusammenarbeit.
Dieser Prozeß wurde durch eine Intensivierung der länderübergreifenden
Polizeizusammenarbeit flankiert. Das Schengener Abkommen ist das erste
multilaterale Abkommen, das die Zusammenarbeit im Polizeibereich regelt
und den Mitgliedstaaten dabei Einschränkungen eigener nationaler
Souveränitätsrechte abverlangt. So erlaubt es, daß mutmaßliche
StraftäterInnen über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg
beobachtet werden dürfen. Der Radius dieser POLIZEILICHEN NACHEILE
und die Befugnisse der PolizistInnen auf dem Hoheitsgebiet der benachbarten
Schengenländer regeln zusätzliche bilaterale Polizeiabkommen.
Die Polizeikooperation macht vor den Außengrenzen Schengens
nicht halt. Die BRD hat schon 1991 mit Polen ein Abkommen zur Bekämpfung
der Organisierten Kriminalität abgeschlossen; 1995 folgte das nächste
über die Zusammenarbeit der Polizei- und der Grenzschutzbehörden.
Der BGS vermittelt der polnischen Grenzpolizei Informationen über
die Bewegung von Flüchtlingsgruppen und damit Tips für gezielte
Kontrollen und Razzien auf polnischer Seite. Auch aufgrund der technischen
Aufrüstung - Wärmebildkamaras gehören inzwischen zur
Standardausrüstung - gelingt es nur noch einem winzigen Bruchteil
aller Flüchtlinge, über die deutsch-polnische Grenze zu kommen.
Auf der polnischen Seite werden jährlich zwischen 10.000 und 15.000
Personen durch Festnahme an der Grenzüberschreitung gehindert.
Länderübergreifende Sonderkommissionen zur Bekämpfung
von Drogenschmuggel und internationalen Kfz-Verschiebungen stehen inzwischen
auf der Tagesordnung. Die Standards der Schengen Zusammenarbeit werden
damit weit über das eigentliche Vertragsgebiet hinaus ausgeweitet,
ohne daß die kooperierenden Staaten die Möglichkeit hätten,
Einfluß auf dessen Gestaltung zu nehmen.
Sichere Drittstaaten.
Auch bei der Änderung des Asylrechts im Juli 1993 wurde Polen
nicht gefragt, obwohl die Neuregelung gravierende Auswirkungen auf das
Land hat. Seitdem schiebt die BRD Flüchtlinge, die über einen
SICHEREN DRITTSTAAT einreisen, sofort in diesen zurück. Als sicheren
Drittstaat definiert die BRD inzwischen sämtliche Nachbarstaaten
sowie alle EU-Staaten. Voraussetzung dafür, daß die BRD-Nachbarländer
Flüchtlinge zurücknehmen sind RÜCKÜBERNAH-MEABKOMMEN.
Ein solches Abkommen wurde mit Polen im Mai 1993 abgeschlossen. Polen
verpflichtete sich, Asylsuchende aus Deutschland zurückzunehmen,
die - mutmaßlich - durch Polen gereist waren. 1993, im ersten
Jahr war die Anzahl noch auf 10.000 asylsuchende Flüchtlinge begrenzt,
für die Folgejahre gab es kein oberes Limit mehr. Polen erhielt
hierfür vom reichen Deutschland bis Ende 1994 120 Millionen Mark.
Diese wurden für die RüCKüBERSTELLUNG von geflohenen
Menschen in die Herkunftsländer, für die Schaffung eines zentralen
Erfassungssystems für Ausländer-Daten und insbesondere für
die technische Ausstattung von Polens Ostgrenzen zu Litauen, Bjelorußland
und zur Ukraine verwendet.
Deutschland hatte auch noch für die eigene Industrie gesorgt.
Denn gemäß dem Abkommen hatte Polen die Hälfte der technischen
Geräte auch noch deutschen Herstellern abzukaufen, wie der damalige
Innenminister Seiters ganz offen erläuterte. Damit wurde nicht
nur die einheimische Industrie gesponsert, sondern auch die Kompatibilität
der Technik gesichert. In der Kooperation mit Polen, so betonen dann
auch Vertreter des Bundeskriminalamts und des brandenburgischen Landeskriminalamts,
ließe sich heute zum Teil schon mehr machen, als mit den westlichen
Partnerpolizeien der Schengenländer.
Die Anrainerstaaten mußten ihrerseits sicherstellen, daß
sie nicht auf den Flüchtlingen sitzenblieben und schlossen deshalb
Folgeabkommen mit ihren jeweiligen Nachbarländern. Polen hat nach
seinem Abkommen mit den Schengen-Staaten solche Abkommen mit Tschechien,
der Slowakei, der Ukraine, Rumänien und Bulgarien abgeschlossen.
Diejenigen illegalen Einwanderer, die Polen von der BRD übernehmen
muß, werden so in ihre Transit- oder Herkunftsländer rückbefördert.
Das schnelle BGS-Abschiebesystem konnte der polnische Grenzschutz
inzwischen jenseits aller Öffentlichkeit und parlamentarischen
Kontrolle kopieren. In der BRD heißt dies: 48 Stunden -Arrest
beim BGS - innerhalb dieser Zeit organisiert der BGS die Abschiebung
über den Flughafen Berlin/Schönefeld. Kein Haftrichter, kein
Anwalt, kein Arzt, keine Verwandten oder Freunde sehen die Verhafteten.
Andere werden nach Polen RüCKGESCHOBEN. Dort werden sie z.T. wiederum
für 48 Stunden von der dortigen Grenzpolizei in Haft genommen und
in dieser Zeit in die Ukraine oder ins Baltikum DURCHBEFÖRDERT.
Polen ist inzwischen ein zentraler Brückenkopf für die Schengenländer
geworden. Die polnische Regierung reicht der ukrainischen Regierung
in modifizierter Form das Know How und den Druck weiter, den sie selbst
von der EU bzw. den Schengener Vertragsstaaten erfahren hat. Sie organisiert
Fortbildungskurse für die Ukraine, sie organisiert die Weitergabe
des Schengener Know How speziell für dieses Nachbarland, das nicht
einmal die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben hat. Erst
im Juli 1997 hat das ukrainische Parlament die Europäische Menschenrechtskonvention
ratifiziert. Das Land hat in den letzten fünf bis sechs Jahren
mehrere hunderttausend Flüchtlinge vorübergehend und zum Teil
auch dauerhaft aufgenommen. Es gibt aber keine funktionierende Flüchtlingsgesetzgebung,
keine entsprechende Verwaltung, kein Ausländerrecht.
Das Gesetz FüR FLüCHTLINGE von 1993 knüpft einen legalen
Flüchtlings-Aufenthaltsstatus an gänzlich unrealistische Bedingungen.
So müssen Flüchtlinge, die illegal die Grenze überschritten
haben, innerhalb von 24 Stunden ihren Antrag gestellt haben, die übrigen
innerhalb von drei Tagen. Da sich für viele Flüchtlinge erst
nach einiger Zeit herausstellt, daß die Weiterflucht vorerst unmöglich
ist, gibt es für sie dann keine Legalisierungsmöglichkeit.
Obwohl hunderttausende Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten des Kaukasus
und Tadschikistans in die Ukraine gekommen sind, haben 1996 gerade einmal
1161 Flüchtlinge ihren Status legalisieren können.
Nichtsdestotrotz avancierte die Ukraine 1996 zu einem - in der Sprache
der europäischen Abschiebebehörden - VIERTSTAAT. Die Liste
der SICHEREN DRITTSTAATEN an der Ostgrenze (Polen und Tschechien) wurde
um die Ukraine erweitert. Seit 1996 gibt es systematische Abschiebungen
aus der BRD über Polen in die Ukraine. Neben dieser länderübergreifenden
Koordination der Grenzschutz- und Polizei-Operationen bei Abschiebungen
hat die deutsche Bundesregierung mit der Ausstattung des westukrainischen
Grenzschutzes und der Polizei der Stadt und Region Kyïv begonnen.
Sie werden seit Herbst 1996 mit Fahndungstechnik aus der BRD ausgerüstet.
ähnlich wie hintereinandergestellte Dominosteine umfallen, hat
sich das Migrationsproblem auf die einzelnen Staaten ostwärts von
Deutschland übertragen. Ein Land nach dem anderen hat seine Grenzen
angesichts der Flüchtlinge aus dem jeweiligen Nachbarstaat geschlossen.
Auf jeden osteuropäischen Staat wurde das komplette Abschottungssystem
übertragen, vorfinanziert und notdürftig an nationale Gegebenheiten
angepaßt. Selbst wenn ein Land wollte, könnte es aus diesem
Netz nicht aussteigen. Dann nämlich hätte es alle Folgen der
europäischen Abschottung zu tragen.
Perspektiven
Im Rahmen des Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs wurde nun
auch der Weg für Polen, Tschechien, Slowenien, Ungarn und Estland
freigemacht, Beitrittsverhandlungen zum Schengener Abkommen zu führen.
Mit diesem Beitritt würde sich die heutige Schengengrenze dann
an die Grenzen zu Rußland, Weiürußland und der Ukraine
verschieben. Bis dahin werden zwar noch einige Jahre vergehen, dennoch
laufen gerade in Polen verstärkte Anstrengungen, den Anforderungen
genüge zu leisten. Als EU-Aspirant ist es zu einer Art Musterschüler
der Schengener Vertragsstaaten avanciert. Der frühere polnische
Außenminister Bartoszewski hat bereits jetzt um deutsche Hilfe
bei der Sicherung der polnischen Ostgrenze gebeten.
Der Fahndungs und Flüchtlingsabwehrraum Europa wächst zusammen
und perfektioniert sich. Zugleich bildet Schengen den Prototyp für
ein KERNEUROPA, wie es der Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion
Wolfgang Schäuble bereits 1994 gefordert hatte. Die wirtschaftlich
mächtigen Staaten geben die Geschwindigkeit und Richtung der Integration
vor, die anderen haben nur die Möglichkeit, hinterherzuhecheln
oder sie werden abgehängt, und das zu ihrem Nachteil. Das heute
sich formierende Kerneuropa hat eine zwiebelförmige Struktur: Ausgehend
vom Zentrum gruppiert sich Schale um Schale der Rest. Die äußeren
Schalen dürfen partizipieren: am Mythos Europa - an Menschenrechten
und Demokratie vollständig; am Wohlstand schon weit weniger. So
entsteht eine sorgfältig strukturierte Ordnung, deren Grenzen eben
nicht nur an den Außenrändern der EU verlaufen, sondern vom
Zentrum aus schichtweise nach außen fortgesetzt wird. Während
die Beitrittsaspiranten zur EU sich noch Hoffnungen machen können,
am Wohlstandskuchen zu partizipieren, sieht es für die ehemaligen
Staaten der Sowjetunion finster aus. Sie erfüllen nichtsdestotrotz
im Kerneuropamodell eine unverzichtbare Funktion: die der migrationspolitischen
Pufferzone. Sie sind unverzichtbar, gerade im Hinblick auf Tendenzen,
die Schutzzonen auch über Grenzen hinaus bis in die Ukraine oder
nach Marokko hinein auszubauen.
Organisierte Kriminalität als neues Feindbild kreist sonderbarerweise
um ein Bild von GOSSENKRIMINALITÄT, bestehend aus Autodieben, MENSCHENSCHMUGGLERN,
Drogendealern und illegalen Einwanderern. Die organisierte Kriminalität
kommt aber keineswegs am Rande der Gesellschaft vor, sondern bewegt
sich auf den Konzernetagen der Multinationalen Konzerne oder auch in
Politikerkreisen. Interessanterweise läßt aber beispielsweise
die Europolkonvention diesen Bereich außen vor. Ihr Wirkungsbereich
umfaßt nicht den illegalen Waffenhandel und die Korruption, wohl
aber den illegalen Drogenhandel, den illegalen Handel mit nuklearen
Substanzen, die Schleuserkriminalität, den Menschenhandel und die
Kraftfahrzeugkriminalität. Damit orientiert sich das in der Europol-Konvention
gezeichnete Bild der ORGANISIERTEN KRIMINALITÄT direkt an den Ängsten
des kleinen Mannes: Die Angst, daß das Auto als Symbol des sozialen
Status - von polnischen Autoschmugglern entführt werden könnte;
die Angst, daß der libanesische oder albanische Asylbewerber den
Kindern Drogen verkaufen könnte, die Angst vor durch Schlepperbanden
eingeschmuggelte illegale Einwanderer, die "uns" die Arbeit
wegnehmen. Kurz: die Angst der kleinen Leute vor einer ungewissen Zukunft
und vor sozialem Abstieg, verkörpert durch Ausländer, Arme
und Ausgegrenzte aller Art.
Dieses Bedrohungsbild liefert die öffentliche Rechtfertigung
einer umfassenden VORBEUGENDEN Überwachungstätigkeit, die
sich zuallererst gegen schwache gesellschaftliche Gruppen richtet, die
aus der LEGALEN sichtbaren Gesellschaft immer mehr ausgegrenzt werden.
Schon allein die Wahl der in der Europol-Konvention aufgelisteten Kriminalitätsformen
suggeriert, daß Ausländer von vornherein verdächtig
sind. Diese Verknüpfung von Kriminalität und Ausländersein
ist umso schlimmer, als die Europol-Konvention den Aufbau einer elektronischen
Datenbank vorsieht, in der auch hochsensible Daten unschuldiger Personen
gespeichert, bearbeitet und ausgetauscht werden dürfen. Ausländer,
und insbesondere Flüchtlinge werden die ersten Opfer des neuen
europolizeilichen Eifers sein. Doch dabei wird es nicht bleiben. Die
Strategen er INNEREN SICHERHEIT bedrohen auch die Sicherheit waschechter
EU-Bürger.
Die Alternative zu dieser Entwicklung kann nur sein, die Idee des
Staatenverbundes aufzunehmen und sie auf Gesamteuropa anzuwenden. Eine
sich entwickelnde demokratische Staatlichkeit mit regionalen Eigenständigkeiten
für den gesamten europäischen Raum läßt meines
Erachtens keine neuen Mauern nach Außen wachsen und verhindert
im Innern Überwachungstätigkeiten und den Schnüffelstaat.
Nur durch ein demokratisches, soziales und ökologisches Zusammenwachsen
in Ganz-Europa kann der Frieden zukünftig gesichert werden.
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