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Mykola Gogol

Taras Bulba (Aus den “Taras Bulba”)

"Täusche nicht dich und mich, Ritter", sprach sie und schüttelte sacht ihr schönes Haupt. "Ich weiß, und zu meinem großen Kummer weiß ich es nur zu gut, daß du mich nicht lieben darfst. Und ich weiß, was deine Pflicht und deine Schuldigkeit ist. Dich rufen dein Vater, deine Gefährten, dein Vaterland. Wir aber sind Feinde." - "Was sind mir Vater, Gefährten und Vaterland?" rief Andri, warf den Kopf ins Genick und richtete sich gerade auf, wie die Pappel am Fluß zum Himmel ragt. "Wenn es sein muß, nun, so soll es sein. Ich habe niemand! Niemand, niemand!" wiederholte er mit Nachdruck und begleitete diese Worte mit jener Handbewegung, mit welcher der allen Launen des Schicksals gewachsene, unbeugsame Kosak bekräftigt, daß er zu einer Tat entschlossen ist, die jeder andere für unerhört und unmöglich erklärt. "Wer sagt, daß die Ukraine mein Vaterland ist? Wer gab sie mir zum Vaterland? Unser Vaterland, ist, was unser Herz braucht, was ihm das Liebste auf Erden ist. Mein Vaterland bist du! Du bist mein Vaterland! Und dieses Vaterland trag, ich im Herzen, solange ich lebe, und ich möchte den Kosaken sehen, der es mir aus dem Herzen nehmen will! Und alles, was ich habe, gebe ich für dieses Vaterland hin, allem entsage ich und stürze mich dafür ins Verderben!"

Er sah nur noch das furchtbare Gesicht seines Vaters.

"Nun, was werden wir jetzt tun?" fragte Taras und sah ihm in die Augen. Andri fand darauf keine Antwort. Gesenkten Blicks saß er im Sattel.

"Ja, Söhnchen, deine Polen haben dich im Stich gelassen." Andri antwortete nicht.

"Verraten also? Den Glauben verraten? Die Deinen verraten? Los, steig vom Pferd!"

Gehorsam wie ein Kind stieg Andri vom Pferd und stand mehr tot als lebendig vor seinem Vater.

"Bleib stehn und rühr dich nicht! Ich habe dich gezeugt, ich werde dich auch töten!" sagte Taras, trat einige Schritte zurück und nahm das Gewehr von der Schulter. Andri war bleich wie ein Tuch. Leise regten sich seine Lippen und flüsterten einen Namen. Aber es war nicht der Name des Vaterlandes, nicht der Name der Mutter oder seiner Brüder, es war der Name der schönen Polin. Taras drückte ab.

Wie eine Weizenähre unter dem Sichelhieb, wie ein Lamm, das das tödliche Eisen in sei

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N12 / 1998

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1997